Wer zuletzt geflogen ist, beginnt...

Warum Klimaschutz eine Klassenfrage ist – und was das für die Klimakommunikation bedeutet

„Die Person, die zuletzt geflogen ist, beginnt." Mit dieser simplen Regel startet das Kartenspiel Klimaxo – und offenbart dabei mehr über gesellschaftliche Klimarealitäten als manche Studie.

Was als harmlose Spielregel daherkommt, wird schnell zum soziologischen Experiment: Plötzlich werden die enormen Unterschiede im CO-Verbrauch verschiedener Gesellschaftsschichten sichtbar. Und damit ein zentrales Problem der Klimakommunikation.

Die unsichtbare CO-Ungleichheit

Laut der Studie von Chancel (2019) emittieren die reichsten zehn Prozent der Europäer*innen im Durchschnitt 25 Tonnen (!) mehr im Jahr als die ärmere Hälfte der Europäer*innen (29,4 im Vergleich zu 5,4 Tonnen pro Kopf und Jahr!). 

Beim Flugverkehr ist die Ungleichheit noch extremer: Nur 10 Prozent der Menschen weltweit sind für 75% der Flugemissionen verantwortlich (Goodyer 2020). 

Diese Zahlen sind bekannt. Aber sie bleiben abstrakt – bis sie am Spieltisch konkret werden.

Hohe Einkommensschichten: Drei bis vier Flüge pro Jahr sind normal. Geschäftsreisen, Fernurlaub, Kurztrips. Die Frage ist nicht ob, sondern wann zuletzt geflogen wurde.

Bildungsnahe Mittelschicht: Hier herrscht oft Flugscham bei gleichzeitig gelegentlichem Fliegen. Jeder Flug wird emotional aufgeladen, rechtfertigt sich aber durch "wichtige Anlässe".

Niedrigere Einkommensgruppen: Fliegen ist schlicht zu teuer. Der letzte Flug liegt oft Jahre zurück oder fand nie statt.

Das Problem der sozialen Normen

Diese Beobachtungen illustrieren ein zentrales Problem: Wir bewerten unser Verhalten nicht absolut, sondern relativ zu unserem sozialen Umfeld. Die Umweltpsychologie spricht hier von "sozialen Normen" – wir orientieren uns daran, was in unserem Milieu als normal gilt.

Verschiedene Studien zeigen: Menschen schätzen ihren eigenen CO-Fußabdruck systematisch als "durchschnittlich" ein – unabhängig davon, ob sie zu den Top- oder Bottom-Emittenten gehören. Die Referenzgruppe bestimmt die Wahrnehmung.

Konsequenz: Klimakommunikation, die von "wir alle müssen..." spricht, verfehlt die Realität. Denn "wir alle" leben in völlig verschiedenen Emissionswelten.

Warum klassische Klimakommunikation scheitert

Viele Klimakampagnen setzen auf Appelle an individuelles Verhalten: weniger fliegen, weniger Fleisch essen, weniger konsumieren. Aber diese Botschaften landen in völlig unterschiedlichen Lebenswelten:

  • Viel-Flieger*innen erscheint der Verzicht auf den dritten Urlaub als drastische   Einschränkung
  • Gelegentlich-Flieger*innen verstärken sie die Schuldgefühle, ohne strukturelle Alternativen zu bieten
  • für Nicht-Flieger*innen wirken sie wie Hohn - sie sparen bereits maximal, während andere das Vielfache emittieren

Das Ergebnis: Frustration statt Handlung. Die einen fühlen sich zu Unrecht angeklagt, die anderen unzureichend angesprochen.

Ansätze für eine klassenbewusste Klimakommunikation

Was folgt daraus für eine wirksamere Klimakommunikation?

1. Differenzierte Zielgruppenansprache: Statt universeller Appelle braucht es unterschiedliche Strategien für verschiedene Emissionsgruppen. Luxusemittenten brauchen andere Anreize als Durchschnittsverbraucher.

2. Strukturelle Lösungen betonen: Individuelle Verhaltensänderung ist wichtig, aber begrenzt. Gleichzeitig müssen strukturelle Veränderungen (CO-Bepreisung, Infrastruktur, Regulierung) in den Fokus rücken. 

3. Soziale Normen gezielt verändern: Wenn das reichste Dezil seinen Konsum halbiert, hat das ein Vielfaches an Klimawirkung als die Sparanstrengungen der unteren 50 Prozent. Hier müssen neue soziale Normen entstehen.

4. Ungleichheit thematisieren: Solange die extremen Unterschiede unsichtbar bleiben, fehlt die Grundlage für gesellschaftlichen Wandel. Transparenz über CO-Ungleichheit ist der erste Schritt.

Vom Bewusstsein zur Veränderung

Die Klimakrise ist nicht nur eine technische oder politische Herausforderung – sie ist auch eine soziale. Echte Veränderung braucht das Bewusstsein für die enormen Unterschiede im CO-Verbrauch und deren strukturelle Ursachen.

Formate, die diese Unterschiede sichtbar machen – sei es durch Spiele, Diskussionen oder Datenvisualisierungen – können einen wichtigen Beitrag leisten. Sie schaffen die Grundlage für eine Klimakommunikation, die nicht mehr so tut, als würden alle gleich viel beitragen.

Die entscheidende Frage ist nicht, ob wir individuell oder systemisch handeln sollten. Die Frage ist: Wie können wir beides so miteinander verbinden, dass sowohl die strukturellen Privilegien als auch die individuellen Handlungsspielräume sichtbar werden?

Vielleicht beginnt die Antwort dort, wo Menschen aus verschiedenen Emissionswelten ins Gespräch kommen – und dabei erkennen, dass Klimaschutz vor allem eine Frage der Gerechtigkeit ist.

 

Quellen: 

Ungleichheit bei Klima-Emissionen (Chancel 2019): 

https://doi.org/10.1038/s41893-022-00955-z

Ungleichheit beim Flugverkehr (Goodyer 2020):

https://www.sciencefocus.com/planet-earth/climate-inequality-driven-by-transport-practices

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