Was ein Spiel über Flugscham, CO₂-Bilanzen und gesellschaftliche Lebenswelten verrät
Bei Klimaxo, dem Kartenspiel rund um Klimawandel und Alltagsentscheidungen, gibt es eine ganz einfache Einstiegsregel:
👉 „Die Person, die zuletzt geflogen ist, beginnt."
Was spielerisch klingt, entpuppt sich schnell als gesellschaftliche Klimaschutz-Lupe: ein kleiner Satz, der auf überraschende Weise sichtbar macht, wie unterschiedlich Menschen leben, denken – und vor allem: wie unterschiedlich sie ihren eigenen Einfluss auf das Klima einschätzen.
Ich habe mittlerweile viele Spielrunden begleitet. Diese eine Frage zum Spielbeginn bringt immer wieder neue Dynamik in die Gruppe. Sie ist harmlos verpackt, hat aber eine erstaunliche Wirkung.
Drei Lebenswelten – drei Klimarealitäten
1. Die Berater*innen-Welt
Hier geht's nicht darum, ob man fliegt – sondern wann zuletzt:
„Zählt der Rückflug von Dienstag? Oder war das noch Montagabend?"
Die Frage ist mehr Timing als moralische Abwägung. Fliegen ist Alltag. Es wird eher verwaltet als hinterfragt.
2. Die Klima-Expert*innen
Hier wird oft gar nicht geflogen, oder es ist die absolute Ausnahme:
„Ich bin 2019 mal geflogen – für die Arbeit. Ging nicht anders."
Oder: „Ich hab mal 'nen Flug gewonnen."
Die Flugentscheidung ist bewusst, emotional aufgeladen und oft mit Schuldgefühlen verknüpft – selbst wenn sie Jahre zurückliegt.
3. Die Mittelstandsrunde
Fliegen ist hier Status quo: drei- bis viermal im Jahr, Urlaub, Familie, Business.
Niemand hat das Gefühl, dass das übermäßig viel sei. Die Reaktion: „Warum auch nicht? Das Leben ist kurz."
Was diese Beobachtungen zeigen
👉 Unsere Wahrnehmung von „normalem Verhalten" hängt stark von unserer sozialen Lebenswelt ab.
Der eigene CO₂-Fußabdruck wird selten absolut bewertet. Fast immer vergleichen wir uns mit unserer Peer Group.
Klimakommunikation zwischen den Welten
Diese kleinen Momente am Spieltisch machen spürbar, was die Klimapsychologie schon lange beschreibt:
- Wir vergleichen uns mit unserem sozialen Umfeld. Hier wird die Norm festgelegt.
- Wir rechtfertigen Verhalten im Nachhinein.
- Und wir unterschätzen, wie groß die Spannbreite individueller Emissionen wirklich ist.
Ein Spiel wie Klimaxo hilft dabei, genau das sichtbar zu machen – spielerisch, mit Humor, ohne Zeigefinger. Es bringt ein Thema zur Sprache, was sonst oft umgangen wird. Am Küchentisch, im Wohnzimmer, bei Freundesrunden.
Denn der erste Schritt ist die Beobachtung. Danach kann man Schlüsse ziehen.
Zwischen Flugscham und Systemfrage
Die zentrale Erkenntnis für mich:
Klimawandel ist nicht nur ein globales, sondern auch ein zutiefst persönliches Thema. Und gleichzeitig stark abhängig von unserer lokalen Lebenswelt.
Und genau das macht den gesellschaftlichen Wandel so komplex.
Auch wenn die Datenlage eindeutig ist (der CO₂-Fußabdruck pro Kopf variiert in Deutschland enorm), fehlt uns meistens das konkrete Erleben.
Spiele wie Klimaxo oder jegliche Formate, bei denen Menschen zum Thema Klimawandel ins Gespräch kommen, schaffen genau diesen Moment:
Die Erkenntnis, dass nicht „wir alle gleich viel beitragen" – sondern dass Verantwortung, Handlungsspielräume und Emissionen extrem ungleich verteilt sind.
Der Weg nach vorn
Das führt zu den entscheidenden Fragen:
Was bringt individuelle Verhaltensänderung, wenn das System auf fossilem Wachstum basiert?
Oder umgekehrt:
Wie soll Systemwandel gelingen, wenn wir uns gar nicht über die großen Unterschiede bewusst sind?
Vielleicht ist es kein Entweder-Oder. Vielleicht beginnt Veränderung dort, wo wir aufhören, uns moralisch zu vergleichen – und anfangen, miteinander zu reden.
Manchmal braucht es nur einen Moment des echten Austauschs – beim Kartenspiel, in der hitzigen Debatte, im spontanen Gespräch - so dass Normen hinterfragt werden und Bewusstsein geschaffen wird. Wenn wir Brücken bauen, aufhören zu urteilen und anfangen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
📌 Mehr über das Spiel Klimaxo und wie es wirkt, erfährst du unter www.klimaxo.de
Passend dazu: Lucas Chancels Studie zur globalen CO₂-Ungleichheit (1990-2019) zeigt mit harten Fakten, was wir am Spieltisch erleben – die Unterschiede sind größer, als viele denken.